Veröffentlicht am März 15, 2024

Der wahre Preis von Fast Fashion ist nicht der auf dem Etikett, sondern die systematische Ausbeutung von Mensch und Umwelt, oft versteckt hinter cleverem Greenwashing.

  • Erkennen Sie die sieben häufigsten Greenwashing-Tricks, von vagen Begriffen bis zu falschen Recycling-Versprechen.
  • Verstehen Sie den Unterschied zwischen leeren Werbephrasen und glaubwürdigen Siegeln wie GOTS.

Empfehlung: Nutzen Sie die „Cost-per-Wear“-Logik, um in langlebige Qualität statt in kurzlebige Trends zu investieren und so langfristig Geld und Ressourcen zu sparen.

Der Wunsch, sich verantwortungsvoll zu kleiden, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Kaum eine Modemarke verzichtet heute auf eine „Conscious Collection“, wirbt mit recycelten Materialien oder verspricht einen „grünen“ Fußabdruck. Doch diese Flut an gut gemeinten Botschaften führt oft zum Gegenteil von Klarheit: zu Verwirrung und Misstrauen. Man greift zu Bio-Baumwolle, achtet auf Papiertüten statt Plastik und fühlt sich dennoch unsicher. Hat man wirklich eine gute Wahl getroffen oder ist man nur einer cleveren Marketing-Kampagne aufgesessen?

Die gängigen Ratschläge – „weniger kaufen“, „auf Siegel achten“ – sind zwar richtig, kratzen aber nur an der Oberfläche. Sie behandeln Symptome, nicht die Ursache. Das eigentliche Problem liegt tiefer, in der Systemlogik einer Industrie, die auf permanenten Konsum und maximale Geschwindigkeit ausgelegt ist. Die wahre Nachhaltigkeit beginnt daher nicht erst beim Kauf eines einzelnen T-Shirts, sondern bei der Fähigkeit, das System dahinter zu durchschauen und die Versprechen der Marken kritisch zu hinterfragen.

Aber was, wenn der Fokus auf einzelne Produkte uns den Blick auf das eigentliche Problem verstellt? Wenn die eigentliche Kompetenz darin besteht, nicht nur Produkte, sondern Geschäftsmodelle zu bewerten? Dieser Artikel ist Ihr investigativer Leitfaden. Er gibt Ihnen nicht nur eine Liste von „guten“ und „schlechten“ Marken, sondern schärft Ihren Blick für die Mechanismen hinter den Kulissen. Wir werden die Greenwashing-Lügen entlarven, das Siegel-Labyrinth lichten und Ihnen Werkzeuge an die Hand geben, um eine wirklich souveräne und informierte Entscheidung zu treffen – für eine Garderobe, die nicht nur gut aussieht, sondern sich auch gut anfühlt.

Um Ihnen eine klare Orientierung zu geben, ist dieser Artikel strukturiert aufgebaut. Er führt Sie von der Entschlüsselung von Zertifikaten über die Erkennung von Greenwashing-Tricks bis hin zu konkreten Beispielen und einer persönlichen Checkliste. So können Sie sich Schritt für Schritt die Kompetenz aneignen, die Sie für einen wirklich bewussten Modekonsum benötigen.

Das Siegel-Labyrinth: Welchen Nachhaltigkeits-Zertifikaten Sie wirklich vertrauen können

Im Dschungel der Nachhaltigkeitsversprechen dienen Zertifikate und Siegel als vermeintliche Wegweiser. Doch nicht jedes Logo hält, was es verspricht. Ein kritischer Blick ist unerlässlich, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Die wichtigste Unterscheidung liegt zwischen reinen Material-Siegeln, die nur das Endprodukt prüfen, und umfassenden Prozess-Siegeln, die die gesamte Lieferkette von der Faser bis zum fertigen Kleidungsstück kontrollieren. Erstere bieten zwar eine gewisse Sicherheit, zum Beispiel bei der Schadstoffprüfung, lassen aber die sozialen und ökologischen Bedingungen während der Produktion völlig außer Acht.

Das mit Abstand strengste und anerkannteste Prozess-Siegel ist der Global Organic Textile Standard (GOTS). Es garantiert nicht nur den Einsatz von biologisch erzeugten Naturfasern, sondern stellt auch hohe Anforderungen an jeden einzelnen Verarbeitungsschritt. Dazu gehören der Ausschluss schädlicher Chemikalien, Regeln für den Wasserverbrauch und die Einhaltung von Sozialstandards auf Basis der Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Ein GOTS-zertifiziertes Produkt bietet daher ein hohes Maß an Sicherheit, dass sowohl ökologische als auch soziale Kriterien entlang der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt wurden.

Allerdings schafft diese Strenge auch eine Hürde. Wie eine aktuelle Analyse der Zertifizierungskosten zeigt, sind die hohen Anforderungen und finanziellen Aufwände für die GOTS-Zertifizierung besonders für kleinere Unternehmen oft schwer zu stemmen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine Marke ohne GOTS-Siegel ist nicht automatisch schlecht. Gerade kleine, lokale Labels, die transparent über ihre Produktion berichten, können ebenso verantwortungsvoll handeln. Das Siegel ist ein starker Indikator, aber nie der alleinige Maßstab. Die wahre Prüfung liegt in der Gesamttransparenz einer Marke.

Letztendlich ist ein Siegel ein Werkzeug, kein Freifahrtschein. Es kann die eigene Recherche erleichtern, aber nicht ersetzen. Die kritische Frage bleibt immer: Was genau zertifiziert dieses Siegel – und was nicht?

Die Greenwashing-Lüge: 7 Tricks, mit denen Modemarken nachhaltiger scheinen, als sie sind

Greenwashing ist die Kunst, einem Produkt oder einer Marke ein umweltfreundliches Image zu verleihen, ohne dass dafür eine ausreichende Grundlage besteht. Die Modeindustrie hat diese Disziplin perfektioniert. Um nicht in die Falle zu tappen, ist es entscheidend, die gängigsten Methoden zu kennen. Oft werden vage und ungeschützte Begriffe wie „conscious“, „eco-friendly“ oder „grün“ verwendet, die keinerlei rechtliche Definition haben und somit alles und nichts bedeuten können. Ohne ein konkretes, glaubwürdiges Siegel als Beleg sind solche Aussagen reines Marketing.

Ein weiterer beliebter Trick ist das Recycling-Versprechen. Kleidung aus recyceltem Polyester, oft gewonnen aus alten PET-Flaschen, wird als ökologische Heldentat verkauft. Verschwiegen wird dabei, dass diese Kunstfasern bei jedem Waschgang Mikroplastik abgeben. Laut einer Studie ist die Fast-Fashion-Industrie für ein Drittel des Mikroplastiks im Meer verantwortlich. Echte Kreislaufwirtschaft würde bedeuten, alte Textilien zu neuen Textilien zu verarbeiten (Textil-zu-Textil-Recycling), was technisch weitaus anspruchsvoller ist und nur selten stattfindet.

Die Liste der Täuschungsmanöver ist lang und raffiniert. Marken lancieren oft eine winzige „grüne“ Alibi-Kollektion, um vom konventionellen Kerngeschäft abzulenken. Sie rühmen sich mit CO2-Neutralität, die lediglich durch den Zukauf billiger Ausgleichszertifikate erreicht wird, anstatt die eigenen Emissionen wirklich zu reduzieren. Ein zentrales Warnsignal ist und bleibt die fehlende Transparenz. Eine Marke, die ihre Lieferketten und Produktionsstätten nicht offenlegt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas zu verbergen. Seien Sie skeptisch, wenn gesetzliche Mindeststandards als grüne Innovation verkauft oder faire Arbeitsbedingungen nur für den Firmensitz in Europa, nicht aber für die Näherinnen in Asien garantiert werden.

Die Fähigkeit, diese Tricks zu durchschauen, verwandelt Sie von einem passiven Konsumenten in einen aktiven und kritischen Beobachter des Marktes.

Ehrlich, fair und schön: 10 nachhaltige Modemarken, die Sie jetzt kennen sollten

Während große Konzerne mit Greenwashing-Taktiken um die Gunst der Kunden buhlen, gibt es eine wachsende Zahl von Marken, die Nachhaltigkeit von Grund auf leben. Diese Pioniere beweisen, dass Mode gleichzeitig stilvoll, hochwertig und verantwortungsvoll sein kann. Anstatt hier eine simple Liste zu präsentieren, ist es wichtiger, die Archetypen wirklich nachhaltiger Marken zu verstehen. Es sind Labels, die Transparenz als oberstes Gebot sehen, ihre Produktionspartner namentlich nennen und über die bloße Einhaltung von Mindeststandards weit hinausgehen.

Minimalistischer Showroom mit nachhaltiger Mode auf Holzkleiderstangen und natürlichen Materialien

Ein Kennzeichen dieser Marken ist die Verpflichtung zu fairen Löhnen, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen – nicht nur gesetzliche Mindestlöhne, die oft unter der Armutsgrenze liegen. Die Clean Clothes Campaign (CCC) liefert hierzu einen eindrucksvollen Vergleich. Wie die Organisation in ihrer Studie zu Existenzlöhnen feststellt, setzt die CCC den Lohn zum Leben in Bangladesch etwa fünfmal höher an, als es das Gesetz vorschreibt. Marken, die sich an solchen realen Lebenshaltungskosten orientieren, zeigen wahre soziale Verantwortung. Sie investieren in langlebige Partnerschaften mit ihren Produzenten und verstehen faire Arbeitsbedingungen als nicht verhandelbaren Teil ihrer Identität.

Diese Unternehmen setzen auf hochwertige, langlebige Materialien wie Bio-Baumwolle, Leinen, Hanf oder Tencel™ Lyocell und achten auf ein zeitloses Design, das Trends überdauert. Sie produzieren oft in kleineren Chargen, um Überproduktion zu vermeiden, und bieten Reparatur-Services an, um den Lebenszyklus ihrer Produkte zu verlängern. Statt sich hinter vagen Begriffen zu verstecken, kommunizieren sie offen über ihre Herausforderungen und Fortschritte. Sie verstehen Nachhaltigkeit nicht als Marketing-Tool, sondern als Kern ihrer Unternehmensphilosophie. Das Erkennen dieser grundsätzlichen Haltung ist wichtiger als das Auswendiglernen von Markennamen.

Indem Sie solche Marken unterstützen, senden Sie ein starkes Signal an die gesamte Industrie: Echte Verantwortung ist der neue Standard für Qualität.

Nachhaltig heisst nicht langweilig: Wie die grüne Mode erwachsen und stilvoll wurde

Das Vorurteil, nachhaltige Mode sei auf kratzige Jute-Stoffe und formlose Schnitte beschränkt, ist längst überholt. Die Pioniere der Fair-Fashion-Bewegung haben bewiesen, dass ethische Produktion und anspruchsvolles Design Hand in Hand gehen können. Grüne Mode ist erwachsen geworden. Sie hat den Nischenstatus abgelegt und überzeugt heute mit hochwertigen Materialien, durchdachten Schnitten und einer Ästhetik, die sowohl modern als auch zeitlos ist. Dieser Wandel wurde nicht nur von den Marken selbst vorangetrieben, sondern auch von einer neuen Generation von Influencern und Kreativen, die Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil eines stilvollen Lebensstils begreifen.

Ein gutes Beispiel aus Deutschland ist Yannick von dem Kanal „rethinknation“. Wie in Berichten über nachhaltige YouTuber hervorgehoben wird, begann er seinen Kanal mit einem Fokus auf Fair Fashion und hat sein Themenspektrum inzwischen erweitert, regt aber nach wie vor zum Nachdenken über bewussten Konsum an. Er und andere Akteure zeigen, dass es nicht um Verzicht geht, sondern um eine bewusste Kuration des eigenen Stils. Anstatt jedem Trend hinterherzulaufen, geht es darum, eine persönliche Garderobe aufzubauen, die die eigene Persönlichkeit unterstreicht und über Saisons hinweg Freude bereitet.

Ein zentrales Konzept in diesem Kontext ist die „Capsule Wardrobe“ – eine minimalistische Garderobe, die aus wenigen, hochwertigen und vielseitig kombinierbaren Teilen besteht. Dieser Ansatz ist die logische Antwort auf das Fast-Fashion-System. Statt eines überquellenden Schranks voller ungetragener Impulskäufe besitzt man eine überschaubare Anzahl von Lieblingsstücken, die perfekt zueinander passen. Der Fokus verschiebt sich von Quantität zu Qualität, von kurzlebigen Trends zu langlebigem Stil. Dies spart nicht nur Geld und Ressourcen, sondern auch Zeit und Nerven bei der täglichen Kleiderwahl. Eine gut kuratierte Garderobe aus nachhaltigen Quellen ist der ultimative Ausdruck von modernem Luxus: die Freiheit, mit weniger mehr zu haben.

So wird nachhaltige Mode von einer moralischen Pflicht zu einer attraktiven und erstrebenswerten Wahl für jeden, der Wert auf Qualität und Ästhetik legt.

Die nachhaltigste Wahl: Warum gebrauchte Kleidung immer besser ist als neu gekaufte

Trotz aller Bemühungen um Bio-Baumwolle und faire Produktionsketten bleibt eine simple Wahrheit bestehen: Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, das bereits existiert. Jede Neuproduktion, egal wie „grün“ sie beworben wird, verbraucht Ressourcen, Wasser und Energie. Der Kauf von Second-Hand-Mode ist daher kein Kompromiss, sondern die ökologisch überlegene Entscheidung. Er durchbricht den Zyklus von Produktion und Entsorgung radikal und wertschätzt das Vorhandene, anstatt ständig Neues zu fordern.

Die Fast-Fashion-Industrie hat unsere Beziehung zu Kleidung grundlegend verändert. Kleidungsstücke werden als Wegwerfartikel konzipiert und konsumiert. Eine Studie belegt diesen dramatischen Wandel: Kleidungsstücke bleiben uns nur noch halb so lange erhalten wie im Jahr 2002. Mehr als die Hälfte der Kleidung in unseren Schränken wird nach maximal drei Jahren aussortiert und landet im Müll. Dieser immense Durchlauf hat katastrophale ökologische Folgen. Der Second-Hand-Kauf ist die direkteste Form des Protests gegen diese Wegwerflogik. Er verlängert die Lebensdauer eines Kleidungsstücks und reduziert so dessen ökologischen Fußabdruck pro Tragen erheblich.

Hände durchsuchen Vintage-Kleidung auf einem Flohmarkt mit natürlichem Licht

Zudem bietet der Vintage- und Second-Hand-Markt eine unschätzbare Möglichkeit, einen individuellen und einzigartigen Stil zu entwickeln, der sich vom Einerlei der großen Modeketten abhebt. Ob auf Flohmärkten, in kuratierten Vintage-Boutiquen oder auf Online-Plattformen – hier finden sich Schätze mit Geschichte, oft in einer Qualität, die bei neuer Kleidung im gleichen Preissegment undenkbar wäre. Der Griff zu gebrauchter Kleidung ist also nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische und stilistische kluge Entscheidung. Es ist die ultimative Form des bewussten Konsums: Man befriedigt das Bedürfnis nach etwas „Neuem“, ohne die planetaren Grenzen weiter zu belasten.

Jeder Kauf aus zweiter Hand ist ein aktiver Beitrag zur Ressourcenschonung und ein Statement für eine Kultur der Langlebigkeit und Wertschätzung.

Die Fast-Fashion-Falle: Warum Sparen beim Kleiderkauf Ihre Garderobe tatsächlich abwertet

Das verlockendste Argument von Fast Fashion ist der niedrige Preis. Ein T-Shirt für 10 Euro, eine Jeans für 20 Euro – diese Angebote scheinen unschlagbar und suggerieren, man könne durch den Kauf sparen. Doch diese Rechnung ist ein Trugschluss. Die wahre Wirtschaftlichkeit eines Kleidungsstücks bemisst sich nicht am Kaufpreis, sondern an den Kosten pro Tragen (Cost-per-Wear). Diese einfache Kennzahl entlarvt die vermeintlichen Schnäppchen als das, was sie sind: eine teure Falle.

Ein billig produziertes Fast-Fashion-Teil verliert nach wenigen Wäschen Form und Farbe und landet schnell im Müll. Ein hochwertiges, fair produziertes Stück kostet in der Anschaffung zwar mehr, behält aber über Jahre seine Qualität. Eine einfache Berechnung des „Cost-per-Wear“ (Kosten pro Tragen) verdeutlicht dies:

Kosten-pro-Tragen-Vergleich: Billig vs. Qualität
Artikel Kaufpreis Tragedauer Anzahl Tragungen Cost-per-Wear
Fast Fashion T-Shirt 10€ 6 Monate 15x 0,67€
Bio-Baumwoll-Shirt 40€ 3 Jahre 100x 0,40€

Wie diese vergleichende Analyse zeigt, ist das teurere Shirt auf lange Sicht das günstigere. Der Fokus auf den reinen Kaufpreis führt zu einer Abwertung der eigenen Garderobe, da man ständig minderwertige Teile ersetzen muss. Hinzu kommen die externen Kosten, die im Preis nicht enthalten sind: die Entsorgung des Textilmülls. Allein in Deutschland fallen jährlich 391.752 Tonnen Textilabfall an, was die Kommunen und damit die Allgemeinheit belastet. Wer billig kauft, zahlt am Ende doppelt – finanziell und ökologisch.

Die Fast-Fashion-Falle ist also eine Illusion von Ersparnis. Sie verleitet uns dazu, Geld für Produkte auszugeben, die keinen dauerhaften Wert haben. Die Investition in Qualität, Langlebigkeit und zeitloses Design ist nicht nur eine ethische, sondern vor allem eine ökonomisch rationale Entscheidung. Sie führt zu einer wertvolleren Garderobe, weniger Konsumstress und langfristig zu einer echten finanziellen Ersparnis.

Wer die „Cost-per-Wear“-Logik verinnerlicht hat, wird nie wieder auf die falschen Versprechen eines 10-Euro-Shirts hereinfallen.

Made in Europe: Was das Label wirklich über die Arbeitsbedingungen aussagt (und was nicht)

Das Etikett „Made in Europe“ klingt nach hohen Standards, fairer Bezahlung und kurzen Transportwegen. Es wird oft als Synonym für eine ethisch unbedenkliche Produktion verwendet. Doch diese Annahme ist gefährlich vereinfachend. Auch innerhalb der Europäischen Union gibt es ein massives Gefälle bei Löhnen und Arbeitsbedingungen. Eine Produktion in Rumänien oder Bulgarien ist nicht mit einer in Deutschland oder Dänemark vergleichbar. Das Label kann daher bestenfalls ein erster Anhaltspunkt sein, aber niemals eine Garantie für Fairness.

Viele Konsumenten fragen sich: Bedeutet „Made in Europe“ automatisch faire Arbeitsbedingungen? Die klare Antwort ist nein. Die gesetzlichen Mindestlöhne in einigen EU-Ländern sind so niedrig, dass sie nicht zum Leben reichen. Eine Untersuchung der Clean Clothes Campaign aus dem Jahr 2019 ergab, dass es selbst bei großen konventionellen Unternehmen, die in Europa produzieren, kaum Anhaltspunkte für die Zahlung von existenzsichernden Löhnen gibt. Das Label sagt also nichts über die tatsächliche Höhe der Löhne aus.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der oft übersehen wird: Woher stammen eigentlich die Rohstoffe? Das Label „Made in Europe“ bezieht sich in der Regel nur auf den letzten Fertigungsschritt, die Konfektionierung (das Zusammennähen der Teile). Der Stoff selbst, beispielsweise Baumwolle, kann weiterhin unter prekären Bedingungen in Asien angebaut und verarbeitet worden sein. Die Transparenzlücke in der Lieferkette wird durch das Label also nicht geschlossen, sondern nur an eine andere Stelle verschoben. Wirkliche Verantwortung zeigt eine Marke, die nicht nur den Ort der Endfertigung, sondern die gesamte Herkunft ihrer Materialien offenlegt – vom Feld bis zum fertigen Produkt.

Das Etikett ist keine Absolution. Nur eine Marke, die proaktiv und detailliert über ihre gesamte Wertschöpfungskette berichtet, verdient Vertrauen – unabhängig davon, ob das letzte Etikett in Europa oder anderswo eingenäht wurde.

Das Wichtigste in Kürze

  • Glaubwürdige Siegel wie GOTS sind nützlich, aber die volle Transparenz einer Marke über ihre Lieferkette ist entscheidender.
  • Erkennen Sie Greenwashing-Taktiken wie vage Begriffe („conscious“) und falsche Recycling-Versprechen, um Marketing von echter Nachhaltigkeit zu unterscheiden.
  • Die „Cost-per-Wear“-Logik entlarvt Fast-Fashion-Schnäppchen: Qualität ist langfristig günstiger als billige Wegwerfmode.

Hinter dem Etikett: Wie Sie Mode wählen, die nicht nur gut aussieht, sondern auch Gutes tut

Nachdem wir die Siegel, die Greenwashing-Tricks und die wahren Kosten der Modeindustrie analysiert haben, stellt sich die entscheidende Frage: Wie wende ich dieses Wissen praktisch an? Wie treffe ich im Alltag eine Entscheidung, die meinen Werten entspricht? Der Schlüssel liegt darin, sich von der reinen Produktbetrachtung zu lösen und einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Es geht darum, eine bewusste Beziehung zu seiner Kleidung aufzubauen, die über den Moment des Kaufs hinausgeht.

Der erste Schritt ist eine persönliche Bestandsaufnahme. Was ist mir persönlich am wichtigsten? Geht es mir primär um ökologische Aspekte wie den Anbau von Bio-Baumwolle und den Verzicht auf Chemikalien? Oder liegt mein Fokus auf sozialen Standards und fairer Bezahlung? Vielleicht ist mir auch der Tierschutz (vegane Mode) oder die Unterstützung der lokalen Wirtschaft („Made in Germany“) besonders wichtig. Es ist nicht immer möglich, alle Kriterien gleichzeitig zu 100 % zu erfüllen. Eine klare Priorisierung hilft, den Fokus zu schärfen und eine Entscheidung zu treffen, die sich authentisch anfühlt.

Diese Prioritäten bilden die Grundlage für Ihren persönlichen Nachhaltigkeits-Kompass. Mit diesem Werkzeug können Sie jede Kaufentscheidung systematisch prüfen und sich nicht mehr von Marketing-Botschaften blenden lassen. Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten einer Marke kritisch zu bewerten. Nur so wird aus einem passiven Konsumenten ein souveräner Akteur. Die Freisetzung von Mikropartikeln ist ein oft übersehener Aspekt. Laut einer offiziellen Quelle werden allein in Deutschland jährlich 80 bis 400 Tonnen Mikropartikel durch Kleidung freigesetzt, was die Bedeutung der Materialwahl unterstreicht.

Ihr persönlicher Nachhaltigkeits-Kompass: Eine Checkliste

  1. Prioritäten definieren: Legen Sie fest, was Ihnen am wichtigsten ist (z. B. Bio, Fair Trade, Vegan, Lokal).
  2. Transparenz prüfen: Untersuchen Sie, ob die Marke ihre Produktionsstätten und Lieferketten detailliert offenlegt.
  3. Zertifikate verifizieren: Prüfen Sie das Vorhandensein und die Glaubwürdigkeit von Siegeln wie GOTS oder Fair Trade.
  4. Materialzusammensetzung checken: Bevorzugen Sie langlebige Naturfasern gegenüber Kunstfasern und hinterfragen Sie Recycling-Versprechen.
  5. Langlebigkeit bewerten: Fragen Sie sich, ob das Design zeitlos und die Verarbeitung hochwertig genug für eine lange Nutzung ist.

Um diesen Ansatz zu verinnerlichen, ist es hilfreich, sich immer wieder die fundamentalen Prinzipien einer wirklich verantwortungsvollen Wahl vor Augen zu führen.

Nutzen Sie Ihre Kaufkraft als Stimmzettel. Jede bewusste Entscheidung für ein langlebiges, faires und transparentes Produkt ist ein aktiver Beitrag zu einer besseren Modeindustrie für alle.

Häufig gestellte Fragen zu Grüner Faden: Ein verlässlicher Kompass für die Welt der nachhaltigen Modemarken

Bedeutet ‚Made in Europe‘ automatisch faire Arbeitsbedingungen?

Nein, auch innerhalb der EU gibt es große Unterschiede bei Löhnen und Standards. Die Mindestlöhne variieren stark zwischen Ländern wie Deutschland und Rumänien.

Woher stammen die Rohstoffe bei ‚Made in Europe‘ Produkten?

Oft bezieht sich das Label nur auf die Konfektionierung. Die Rohstoffe wie Baumwolle können trotzdem aus Asien stammen.

Welche EU-Richtlinien schützen Textilarbeiter?

EU-weite Arbeitsschutzrichtlinien existieren, aber die Durchsetzung und Kontrolle variiert stark zwischen den Mitgliedstaaten.

Geschrieben von Finn Richter, Finn Richter ist ein investigativer Nachhaltigkeits-Journalist, der sich seit 8 Jahren auf die Lieferketten der globalen Textilindustrie spezialisiert hat. Er ist bekannt für seine faktenbasierte und unbestechliche Analyse von ökologischen und sozialen Standards in der Mode.